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Nina Wyss - «Aktuell hält das fehlende Vertrauen sie noch zurück»

«Aktuell hält das fehlende Vertrauen sie noch zurück»

Zweimal die gleiche Verletzung, und das innert kürzester Zeit. Trotz dieser harten Phase, mentalen Hürden und zunächst kleinen Fortschritte blickt Nina Wyss voraus: auf ihr erstes Spiel dieser Saison, auf das Sie so lange hingearbeitet hat. Reflektiert und ehrlich erzählt Nina Wyss von ihrem Weg zurück in die Saison 2023/24.

Handball ist eine harte Sportart – Verletzungen leider nicht selten, wie du selber erfahren musstest. Das ist nun schon eine Weile her. Wie geht es dir aktuell?

Nina: Im Moment geht es mir ganz gut. Langsam kommt meine Lieblingsjahreszeit mit lauter Apfel-Zimt Backwaren und heisser Schokolade und in der Schule habe ich es gerade auch nicht so streng. Zudem bin ich momentan am Ende meiner Verletzungs-Reha und hoffe, dass ich nach dieser ereignisvollen vergangenen Saison nun für eine längere Zeit verletzungsfrei bleibe. Der nächste Schritt im ist es jetzt, mein erstes Spiel zu spielen. Der Aufbau verlief nach Plan und ich kann endlich sagen, dass ich den «harten» Teil hinter mir habe – meinem Ellbogen geht es ziemlich gut. Ich kann mich nicht beklagen.

Wie hast du dir deinen linken Ellbogen, respektive das innere Ellbogenband verletzt?

Nina: Die Verletzung geschah im April 2023 in der Anfangsphase im zweiten Playoff-Halbfinal der FU16 Elite in Herzogenbuchsee. Ich kann mich noch genau erinnern, als meine Gegenspielerinnen unerwartet zum Kernwurf ansetzet. Aus Reflex streckte ich meine Arme in die Luft um zu blocken –durch die geringe Distanz schlug ihr Wurfarm auf meinen Arm. Ich spürte direkt einen dumpfen Zwick in meinem Ellbogen. Da ich mir die gleiche Verletzung bereits im Juli 2022 an der EM in Schweden zugezogen hatte, wusste ich sofort, dass etwas geschehen war.
Wahrscheinlich, so die Erklärung vom Arzt, ist mein Ellbogenband nach der ersten Verletzung nicht richtig vernarbt, Da ich noch nie eine vergleichbare Sportverletzung hatte, konnte ich damals nicht einordnen, ob es was Ernstes war. Als die Diagnose gestellt wurde, was es für eine «akute» Operation bereits zu spät – ich musste konservativ mit einer Schiene arbeiten.

Weisst du noch, welche Gedanken du dir gemacht hast, als dir klar war, dass es eine längere Geschichte wird?

Nina: Ich habe in meinem Unterbewusstsein direkt gewusst, dass wieder etwas Ernsteres passiert ist – die Anzeichen waren identisch wie im Juli 2022. Weil ich erst wieder seit vier Monaten wieder auf dem Feld stand, versuchte ich mit den Gedanken auszureden. Beim ersten Arztbesuch schilderte ich die Situation so harmlos wie möglich – ich hatte den Gedanken ja aus meinem Kopf verbannt und wollte auf keinen Fall hören, dass das Ellbogenband nochmals gerissen ist. Ich lief beruhigt aus dem Arztzimmer, da der Arzt nichts Schlimmes feststellen konnte, dennoch stand ein Termin für ein MRI. Doch im Kopf war ich bereits wieder im Training, um wieder im Playoff-Final zu spielen. Als ich erfuhr, dass das Band doch gerissen ist, war ich im ersten Moment wütend, dass das nochmals passieren konnte. Ich war vor allem wütend auf mich selbst, dass ich zugelassen habe, mir so eine Hoffnung aufzubauen, dass nichts sei – nur weil ich in diesem Moment nicht bereit war, mich der erneuten Verletzung zu stellen. Diese Wut wurde sehr schnell zu Selbstmitleid. Ich habe aber realisieren müssen, dass ich das Problem diesmal von Anfang an richtig angehen kann mit richtiger Behandlung. So sagte ich schliesslich zur OP zu.

Wie sah der Aufbau während der vergangenen Monate aus?

Nina: Nach dem MRI war sofort klar, dass eine Operation nötig war, vor allem, weil ich mir zum zweiten Mal innert kürzester Zeit das Ellbogenband gerissen habe. Die Operation war der sicherste Weg, damit das Band am Schluss wieder so stabil wie möglich ist. Ungefähr eine Woche nach dem Vorfall wurde ich in Bern operiert. Um die Beweglichkeit aufrechtzuerhalten, begann ich praktisch im direkten Anschluss mit der Physio. Ausser der leichten Bewegungstherapie durfte ich die ersten 6 Wochen nicht viel mehr machen, bis ich einen bestimmten Grad der Beugung und der Streckung erreicht hatte. Dann ging der Kraftaufbau los und Mitte August wurde ich vom Arzt «freigesprochen». Ich durfte schrittweise das normale Krafttraining machen und die Intensität im handballerischen Bereich nach und nach steigern. An den Körperkontakt, das letzte Puzzleteil, habe ich mich in der Physiotherapie langsam herangetastet und später im Training steigernd umgesetzt. In der Verteidigung habe ich mich noch nicht so wirklich in einen Zweikampf oder in den Block gewagt, bin dort also noch nicht beim «Alten». Aber der Aufbau des Ellbogens eigentlich am Ende.

Die Rehabilitation ist ein langer Weg – wie war diese Zeit für dich mental?

Nina: Die Zeit der Reha meines Ellbogens nach der zweiten Verletzung hat mich mental stärker getroffen als erwartet. Nachdem ich bei der ersten Verletzung eigentlich kaum mit mentalen Konflikten umgehen musste, gab es in dieser Verletzung ziemlich viele. Ich habe mir viele Vorwürfe gemacht, dass ich an der Verletzung schuld sei. Ich sah den Grund in mir: Sei es, dass ich beim ersten Mal nicht rechtzeitig zum Arzt gegangen bin, zu wenig Einsatz in der Physiotherapie gegeben hatte und das Tape zu früh abgesetzt hatte. Diese Schuldzuweisung hat mich mental in dieser Zeit ziemlich kaputt gemacht. Neben diesen Selbstvorwürfen habe ich aber auch eine Angst entwickelt. Mein Arzt hat mich nämlich darauf hingewiesen, dass es bei einem dritten Riss des linken Ellbogenbands schwerwiegendere Konsequenzen mittragen würde, gar das Aus für das Handballspielen auf dieser Stufe bedeuten könnte. Ich habe mich schon allein beim Gedanken, wieder in der Verteidigung zu stehen, unsicher gefühlt. Ich begann zu zweifeln, ob ich überhaupt noch so unbeschwert und fokussiert Handballspiele kann und ob mein Ellbogen der Belastung überhaupt noch standhalten kann.
Dennoch gibt es auch gute Seiten, denn ich habe eine neue Freude am Handball entwickelt. Ich konnte kaum abwarten, wieder mit dem Handball anzufangen, auch wenn ich grossen Respekt davor hatte.

Gab es Rückschläge im Heilungsprozess? Wie bist du mit diesen umgegangen?

Nina: Zum Glück gab es kaum Rückschläge, die Reha lief ziemlich gut. Der Arzt sagte mir bereits zu Beginn, dass es knapp werden könnte mit der Rückkehr zur FU18-EM knapp bis im Sommer. Der Aufbau brauchte länger als geplant, auch erreichte ich nur knapp den vorgegebenen Bewegungsradius bis zum abgemachten Datum – ansonsten hätte ich eine zusätzliche Schiene benötigt. Ich musste einsehen, dass ich es nicht ans Turnier schaffen würde und dass dies nur eine riskante Fantasievorstellung war. Mit diesen «Rückschlägen» habe ich aber eigentlich gut umgehen können. Ich hätte mir nicht verzeihen können, wenn aufgrund einer gehetzten Reha etwas passieren würde. Das war aber an sich kein Rückschlag, weil ich mir kein Fenster gesetzt habe, bis wann der Aufbau fertig sein muss. Mir war es einfach wichtig, dass ich wieder gesund.

Wie konntest du dich in dieser Zeit motivieren, weiterzumachen?

Nina: Für mich gab es keine Alternative. Der Gedanke vom Aufhören oder Nachlassen ist mir eigentlich nie in den Sinn gekommen. Es war für mich von Anfang an klar, dass ich weiterhin Handball spielen möchte. Ausserdem war ich mir bewusst, dass Verletzungen zum Sport gehören. Andere Sportler haben es auch geschafft, aus langen Verletzungen zurückzukehren. Deshalb habe ich mir gesagt, dass es keinen Grund gäbe, wieso ich jetzt das Gefühl haben muss, aufzuhören.
Meine Verletzung kam ziemlich abrupt in den Playoff-Spielen. Ich wollte da weitermachen, wo ich gezwungenermassen aufhören musste. Dieses Endbild habe ich in meinen Hinterkopf gepackt und mich auf die kleinen Schritte fokussiert. Aus ihnen habe ich dann die Motivation geholt, weil ich mich über diese kleinen Fortschritte gefreut habe.

Hast du dir bereits während deiner Verletzung neue Ziele gesetzt?

Nina: Während meiner Verletzung habe ich mir keine grossen neuen Ziele gesetzt, ausser natürlich wieder gesund zu werden. Mir war es wichtig, den Ellbogen so aufbauen, damit ich wieder Vertrauen in ihn gewinnen kann. Auch wenn ich seit einigen Wochen bereits wieder spielen dürfte, hält mich das noch fehlende Vertrauen aktuell noch zurück. Ich hatte viel Zeit, um das Handballspiel von aussen zu beobachten. Durch diese Perspektive sind dann eher kleinere Ziele entstanden, wo ich mich im technischen Bereich nach der Verletzung verbessern möchte.

Welche Rolle nahmen deine Teamkolleginnen während deiner Rehabilitation ein? Inwiefern habe sie dich unterstützt?

Nina: Meine Teamkolleginnen haben eine wichtige Rolle eingenommen, ohne dass sie es teilweise überhaupt wussten. Ich konnte viel mit Ihnen reden, auch über die Konflikte mit mir selbst. Sie haben mir zugehört haben und kamen mit den richtigen Worten entgegen – Dadurch fühlte sich die Reha gefühlt kürzer und Sie waren eine wichtige Stütze. Während meiner handballerischen Pause bin ich immer gerne in die Halle gekommen. Im Nachhinein haben sie mir die Verletzung leichter zu bewältigen gemacht und ich bin dankbar, haben sie so eine wichtige Rolle eingenommen.

Was hältst du von der Floskel, dass man stärker zurückkehrt als man fortgegangen ist?

Nina: Grundsätzlich finde ich, dass das stimmt. Durch die unfreiwillige Pause hatte ich viel Zeit, den anderen beim Handballspielen zuzusehen. So steigt die Vorfreude darauf, selber wieder zu spielen. Ich denke, das macht sich dann eben auch bemerkbar – diese neue Frische, der umso stärkere Wille und die Freude am Spiel. Dennoch braucht es Zeit, bis man richtig zurückkehren kann und in die «alte» Routine zurückfindet. . Ich habe es richtig vermisst und durch das die Freude am Handball neu entdeckt. Ich habe mich sehr darauf gefreut, nach der Verletzung dort weiterzumachen wo ich aufhören musste und eben genau die Dinge, die ich in der Pause beobachtet habe, umzusetzen und dadurch besser zu werden.