
Umfängliche Massnahmen für die agile Zukunft
Das Tempo im Handball ist hoch, genau wie die körperliche Belastung und der Körperkontakt in Zweikämpfen. Verletzungen sind Teil des „Berufsrisikos“, doch es gibt Wege, das Verletzungsrisiko zu senken.
Silvan Häfliger verfolgt zusammen mit Osteopath und Gesundheitswissenschaftler Nils Verborg einen zukunftsweisenden Ansatz. „Wir gehen nicht nur vom Ansatz aus „wir agieren, um nicht verletzt zu werden“, sondern möchten die individuelle Gesundheit ins Zentrum stellen, indem wir uns immer wieder fragen, was wir tun können, um funktionsfähiger und dementsprechend leistungsstärker zu werden.“, fügt Nils Verborg hinzu. Nur weil sich eine Spielerin gesund fühlt und sich in der optimalen Belastungszone bewegt, heisst das nicht, dass die präventiven Massnahmen gestoppt werden sollten – vielmehr können sich die Spielerinnen in den regenerativen, gesundheitlich vorbeugenden und leistungssteigernden Aspekten weiterentwickeln und so neue Standards setzen.
Die individuelle Belastungsempfindung im Zentrum
Das aktuelle Verletztenlager beim LK Zug ist gross – mehrere Spielerinnen regenerieren ihre Schulter- und Knieverletzungen aus der vergangenen Saison. Um in Zukunft den vielen Verletzungen gegenzusteuern zu können, wurden die Präventionsmassnahmen auf diese Saison verstärkt. Das grösste Potential im Vergleich zur vorherigen Saison sehen Silvan Häfliger und Nils Verborg in einer verbesserte Belastungssteuerung Das subjektive Wohlbefinden sowie die physische Belastung der Spielerinnen wurde zu wenig gesteuert, obwohl diese Faktoren einen massgebenden Einfluss auf das Verletzungsrisiko haben. Dadurch fallen die Spielerinnen schneller in eine Über- oder Unterbelastung – in beiden Belastungsphasen steigt die Verletzungsgefahr.
Mannschafts-, Athletik-, Kraft- und Techniktraining – die Spielerinnen des LK Zug trainieren teilweise sieben bis zu neun Mal pro Woche, weswegen eine optimale Belastungssteuerung, also die Anpassung der individuellen Belastung einer jeden Spielerin, wichtig ist. Um als Trainer einsehen zu können, wie die Spielerinnen ihr Wohlbefinden, ihre Beanspruchung und Erholung bewerten, füllen sie täglich zur selben Zeit eine evidenzbasierte Kurzskala aus. Dieser kleine Fragebogen geht auf das subjektive Befinden ein. So hat Silvan Häfliger stets eine aktuelle Übersicht über die empfundene Belastung und kann so, wenn nötig, reagieren. Der Trainingsaufbau und die Übungen werden jedoch nicht angepasst, vielmehr reguliert er den Einsatz der Spielerinnen in den unterschiedlichen Übungen. Bei hoher empfundener Belastung setzt eine Spielerin gewisse Trainingseinheiten aus oder nimmt diese in reduzierter Intensität wahr. „Bei langjährigen Spielerinnen merkt man schnell, wer überbelastet ist, weswegen das Tool zur Auswertung der Fragebogen sodann eher unterstützend und bestätigend ist.“, sagt Silvan Häfliger.
Individuelles Athletikprogramm und geführte Kraftrainings
Um sich eine Übersicht zu verschaffen, wo die Spielerinnen ihre biomechanischen Stärken und Defizite haben, wurde die SPL1 zu Beginn der Saison zum Funktions-Screening aufgeboten. In 13 orthopädischen und funktionellen Tests analysierte Nils Verborg unterschiedliche Bewegungsmuster der Spielerinnen. Dabei wurde nicht die Mobilität und Stabilität von einzelnen Muskeln getestet, sondern stets im Rahmen der Funktionalität, also im Zusammenspiel mehrerer Muskelgruppen und Fazienketten. Das Screening wurde sportartspezifisch durchgeführt, da sich die Bewegungsabläufe im Handball im Vergleich zu anderen Sportarten unterscheiden und dadurch bestimmte Körperregionen anfälliger für Verletzungen und Überbelastungen sind. Basierend auf den jeweiligen Testergebnissen wurden individuelle Übungen angeleitet, um nicht nur die bestehenden Beschwerden zu reduzieren, sondern auch zukünftige Ausfallzeiten zu vermeiden. In Zusammenarbeit mit Assistenz- und Athletiktrainer Patrick Strebel werden nun individuelle Trainingspläne erstellt, um die Defizite aufzuarbeiten und damit das Verletzungsrisiko zu senken. Diese personalisierten Übungen sowie vereinzelte Trainingsanpassungen bezüglich Volumen und Intensität basierend auf dem Fragebogen bilden den grössten Teil der Präventionsmassnahmen.
Zudem setzen Silvan Häfliger und Patrick Strebel auf ein geführtes Krafttraining, um die Spielerinnen hinsichtlich Mechanik, Technik und einer sauberen Ausführung zu schulen. Bis zu den ersten Spielen führte keine Spielerin ihr Kraftprogramm alleine durch, sondern wurden stets durch das Programm geführt. So lernen die Spielerinnen den genauen Ablauf ganzheitlicher und komplexer Übungen kennen, die sich auf Bewegungsabläufe und das Zusammenspiel mehrere Muskelgruppen und nicht auf einen isolierten Muskel ausrichten. Mit dieser Art von Krafttraining richtet sich der LK Zug auch im Kraftraum sportartspezifisch aus. Vorteil dieses Vorgehens liegt im schnellen Kraftausbau bei der richtigen Umsetzung der komplexen Übungen bei individuellem Gewicht. Zudem führt eine falsche Ausführung zu einer schädlichen Beanspruchung der Muskeln und kann so die Verletzungsgefahr befeuern.
Durch optimalen Wochenplan braucht es keine Kompromisse
Durch optimale Planung braucht es keine Kompromisse, vielmehr macht jede Spielerin das maximale was möglich ist, aber nicht mehr – vom Zeitplan und von der Beanspruchung her. Aufgrund dessen gibt es auch keine Kompromisse, denn keine Spielerin verzichtet auf ein Training, vielmehr übertrifft es ihren individuellen Trainingsplan – diese Perspektive ist wichtig und unterstreicht den Ansatz, den Silvan Häfliger und Patrick Strebel verfolgen. Diese individuellen und auf die einzelnen Spielerinnen bezogene Massnahmen werden durch Sensibilisierung der Spielerinnen abgerundet – durch das Ausfüllen des Fragebogens setzen sie sich mit sich selbst auseinander. Zudem werden die Spielerinnen auf eine ausgewogene Ernährung, erholsamen Schlaf und vor allem Auslaufen nach sportlichen Aktivitäten hingewiesen. um eine gute Regeneration zu erzielen. „Aber im Bereich der Sensibilisierung haben wir sicherlich noch Entwicklungspotential“, fügt Silvan Häfliger hinzu.
Wie gross die Erfolge der neuen Präventionsmassnahmen ist, wird erst am Ende der Saison sichtbar, doch erste Tendenzen deuten bereits auf positive Effekte hin.